Werner von Siemens beflügelt mit Mannheimer Aufzug den modernen Hochhausbau

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    Präsentationen technischer Neuerungen waren zu dieser Zeit auch immer Publikums-Attraktionen. Hier nun konnten die Zuschauer die „Maschine“ sogar leibhaftig erleben. 8.000 Menschen drifteten während der Mannheimer Schau elektrisch-geräuschlos in die Höhe, um dort die Aussicht zu genießen. Technisch gesehen bedeutete der Mannheimer Fahrstuhl einen Meilenstein in der Geschichte des Aufzugbaus

Erster elektrischer Fahrstuhl der Welt hebt in Mannheim ab

Die Mobilisierung der Gesellschaft, die nahm bekanntlich in Mannheim ihren Anfang. Verbunden damit sind Namen wie Freiherr von Drais, Carl Benz und Heinrich Lanz. Doch nicht nur die horizontale Mobilität – ob mit Laufrad, Patent-Motorwagen oder automobilem Schlepper – feierte in Mannheim Premiere. Ebenso die vertikale. Am 11.7.1880 wurde in der Quadratestadt der erste elektrische Aufzug in Betrieb genommen. Konstruiert hatte ihn der begnadete Erfinder Werner von Siemens, eigens für die Pfalzgau-Ausstellung in Mannheim.
Der erste elektrische Aufzug der Welt, erbaut von Werner von Siemens, ausgestellt auf der Pfalzgauausstellung zu Mannheim im Jahre 1880

Die Gewerbe-Schau von 1880 fand statt, wo sich heute die Grünanlage zwischen Schloss und Parkring befindet. Daraus entstanden ist später der Friedrichspark – ein halbes Jahrhundert lang Mannheims Stadtpark. In der aufblühenden Quadratestadt war die Pfalzgau-Ausstellung die erste große landwirtschaftlich-gewerbliche Messe. Vertreten auch: die Industrie. Für Maschinen waren Hallen errichtet worden, und zwar jenseits des Parkrings zwischen Europäischem Hof und Hauptzollamt. Mitten im turbulenten Treiben – neben dem Zollgebäude – war eine technische Sensation geboten. Werner von Siemens und der Elektrotechniker Johann Georg Halske hatten dort nämlich einen Senkrechtfahrer installiert: Der Mannheimer Aufzug beförderte 6 Personen 20 Meter hoch – mit einer Geschwindigkeit von einem halben Meter pro Sekunde.

Der von Siemens entwickelte Aufzug

Voraussetzung für seine Konstruktion war das dynamoelektrische Prinzip, das Werner von Siemens 1866 entdeckte. Dadurch konnte Elektrizität als Energiequelle genutzt werden. Auf den Erfinder und visionären Unternehmer Siemens gehen bekanntlich Konstruktionen zurück wie der Zeigertelegraf; er verlegte große transatlantische Seekabel; baute eine Telegrafenlinie von London nach Kalkutta. Ein Jahr vor der Präsentation des Mannheimer Aufzuges hatte er bereits auf der Berliner Gewerbeausstellung die Welt in Staunen versetzt – mit seiner elektrisch betriebenen Eisenbahn. Nun eroberte er mit dem Kraftspender Elektrizität auch die Höhe.

Im 19. Jahrhundert orientierte man sich städtebaulich nach oben, um die Bevölkerung in den stetig wachsenden Metropolen unterzubringen. Je höher allerdings die Gebäude, desto mühsamer das Treppensteigen. Es gab bereits Aufzüge, doch deren Technik steckte noch in den Kinderschuhen. Hier setzten drei unabhängig voneinander entwickelte Erfindungen an: die automatische Notbremse, der elektrische Antrieb und die Treibscheibe.

Elisha Graves Otis’ bahnbrechende Idee war die Fallbremse. Die Klemmautomatik, die Otis im Auftrag seiner Firma entwickelte, funktionierte automatisch. Das Prinzip geht auf einen ganz einfachen Mechanismus zurück – die Mausefalle. Otis montierte die selbst auslösende Notbremse direkt unters Fahrgerät. Effektvoll – wie sollte es anders sein – führte er 1853 den absturzsicheren Fahrstuhl in New York vor: Er stand auf einer ungesichert nach unten stürzenden Plattform – die wurde von der automatischen Feder im freien Fall gestoppt.

Ein weiteres Problem der Aufzugtechnik – der aufwändige Antrieb. Wasserdruck bildete eine der Kraftquellen. Die hydraulischen Anlagen allerdings waren vom Druckwasser abhängig, Druckzylinder mussten dazu sehr tief in die Erde versenkt werden: für ein sechsstöckiges Haus in eine Tiefe von 20 Metern. Die Anlagen waren teuer und unrentabel. Der Pfalzgau-Fahrstuhl von 1880 bezog nun ganz einfach durch Kabel seine Energie. Ein leise arbeitender Elektromotor trieb mit Zahnrädern die Plattform selbstständig himmelwärts. Die eigenwillige Bauweise des Kletterliftes – er bewegte sich quasi auf einer gekippten Zahnradbahn nach oben – hatte keine Zukunft. Der elektrische Dynamomotor jedoch löste das Problem des Antriebs ein für allemal. Denn die Mannheimer Innovation war konkurrenzlos preiswert in Bau und Betrieb. Was noch fehlte, war die Kombination mit einer leistungsfähigen Kraftübertragung. Und die kam aus dem Bergbau.

Dort mussten lange Senkrechtstrecken bewältigt werden. Die Seile und Seiltrommeln wurden allerdings mit wachsender Fördertiefe unwirtschaftlich und gefährlich. 1877 nun baute der Bergbauingenieur Friedrich Koepe für einen 234 Meter tiefen Schacht – 80 Stockwerke im Hochbau – den ersten Treibscheibenantrieb. Statt wie bislang eine Kabeltrommel zu nutzen, an der das Seil aufgewickelt und fixiert wird, legte Koepe es lose über eine Scheibe: Die Tragseile, die am einen Ende die Kabine und am anderen ein Gegengewicht tragen, werden durch die Reibung gehalten und bewegt. Nun konnten – auch im Aufzugbau – beliebig lange Tragseile verwendet werden.

Während der Pfalzgau-Ausstellung hatten sich Architekten aus der ganzen Welt bereits in Mannheim über den elektrisch angetriebenen Aufzug informiert. 1890 wurde dann erstmals die Erfindung von Otis mit der Treibscheibe von Koepe (Thyssen) und dem Elektromotor von Siemens beim Mönchsberglift in Salzburg kombiniert. Dem Hochbau war nun keine Obergrenze mehr gesetzt, in Amerika der architektonische Siegeszug der Wolkenkratzer nicht mehr aufzuhalten.