Prof. Fritz Marguerre setzt Kraftwerk unter Hochdruck

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    Zur Erläuterung: Bei einem Dampfkraftwerk wie dem GKM wird thermische Energie in einer Dampfturbine in Strom umgewandelt, der dazu nötige Wasserdampf in einem Kessel erzeugt. Von dort aus strömt er über Rohrleitungen in die Dampfturbine und gibt einen Teil seiner Wärme als Bewegungsenergie an die Turbine ab. Ein Generator nun wandelt die Bewegung der Turbine in elektrische Energie um. Dabei hängt der Wirkungsgrad einer Dampfturbine in erster Linie vom Temperaturgefälle ab. Am Eintritt der Turbine muss sie möglichst hoch, am Austritt niedrig sein.

Pionier der Elektrotechnik macht GKM effizient und flexibel

Es war eine schwierige Aufgabe, die Prof. Friedrich Marguerre, Leiter des eben errichteten Grosskraftwerkes Mannheim, 1923 übernahm. Die deutsche Kraftwerkstechnik hatte gerade erst Laufen gelernt. Gleichzeitig verlangten die Aktionäre des Kraftwerks preiswerten Strom. Mit Vehemenz verfolgte der kreative Ingenieur und Wissenschafter das Ziel, „sein“ Werk effizienter zu machen. Zu guter Letzt brachte er mit seinem Hochdruckverfahren die Kraftwerkstechnik einen Riesenschritt voran. Er ist der Vater der Mannheimer Fernwärme, beschaffte zudem, mit Entwicklung der Voith-Marguerre-Kupplung, dem GKM einen großen Kunden – die Deutsche Bahn. Mit seinem sowohl technischen als auch ökonomischen Verstand ging Fritz Marguerre in die Mannheimer Stadtgeschichte als „Schöpfer des Grosskraftwerkes“ ein.

Sie trafen 1921 eine besondere Vereinbarung, die Gründungsväter des GKM – Neckar AG, Pfalzwerke, Stadtwerke Mannheim und Badenwerk: Gemeinsame Stromerzeugung in einem großen Kohlekraftwerk, getrennte Abnahme über eigene Leitungen. Außerdem gingen sie, mit Ausnahme der Stadt Mannheim, keine Abnahmeverpflichtung ein. Das bedeutete für das junge Werk, es musste sich im freien Wettbewerb bewähren.

Fritz Marguerre, zuvor Direktor der von BBC in Mannheim gegründeten Kraftanlagen AG, kam nicht umhin kostengünstiger Strom zu erzeugen. Die technische Aufgabe: mit weniger Kohle für mehr Strom sorgen. Der Stand der Dinge 1923: 700 Gramm Steinkohle brachten eine Kilowattstunde, der Wirkungsgrad lag bei 17 Prozent. Heute erzeugen 300 Gramm Steinkohle eine Kilowattstunde – eine Effizienz von über 40 Prozent.

Folgende Überlegung stellte Marguerre mit seinen Technikern an: Die erforderliche Optimierung kann nur zwischen Heizkessel und Maschine erfolgen. Der Dampf, der aus den Rohren des Kessels in die nicht ausgelastete Turbine rauscht, muss kraftvoller, energiegeladener werden, 350 Grad Celsius wie bisher reichen nicht aus. Das erreichte Marguerre mit seinem Hochdruckverfahren. Statt wie bisher im Kessel einen Druck von 20 bar zu erzeugen, setzte man das System nun einem Druck von 100 bar aus. Das Ergebnis war eine Temperaturerhöhung auf 470 Grad und: Aus der Steinkohle wurde mehr Energie herausgeholt. 600 Gramm Steinkohle brachten nun eine Kilowattstunde. Sein Know-how hatte Fritz Marguerre übrigens von einem Aufenthalt in den USA mitgebracht.

1878 als Sohn eines deutschen Ingenieurs im belgischen Gent geboren, wuchs Fritz Marguerre zweisprachig auf, eignete sich bei Aufenthalten in England und eben auch in den USA gute Englischkenntnisse an. In Aachen und Karlsruhe studierte er Elektrotechnik, seine erste Stellung hatte der junge Techniker 1901 bei BBC; 1903 promovierte er. In Norwegen leitete Marguerre den elektrischen Ausbau der damals größten Wasserkraftanlage der Welt. Zum Ehrenbürger Mannheims ernannt wurde Marguerre 1954 – als „erfolgreiche Pionier der modernen Elektrotechnik“, der internationale Anerkennung gefunden hat, heißt es in der Veröffentlichung des Mannheimer Stadtarchivs „Die höchste Auszeichnung der Stadt“.

Schon früh, in den dreißiger Jahren, versorgte das GKM benachbarte Industrieunternehmen mit Fernwärme, nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung. Ende der fünfziger Jahre strömte erstmals heißes Wasser in die Heizkörper von Privatwohnungen. Heute rangiert Mannheim in Deutschland weit vorne bei der Versorgung seiner Bürger mit Fernwärme.

Die Deutsche Bahn AG holt sich rund 10 Prozent ihres Strombedarfs aus Mannheim. Auch das geht auf den kreativen Geist von Fritz Marguerre zurück, der die Lösung für ein schwieriges technisches Problem fand: Mit 50 Hertz schwingen die Ladungen des üblichen Wechselstroms, an Kabeln mit Einphasen-Wechselstrom von 16 2/3 Hertz hängen die Bahnzüge. Anderstourige Turbinen und eigenständige Generatoren sind daher vonnöten. Die Lösung: Über die Voith-Marguerre-Kupplung, der Turbine nachgeschaltet, erhalten die Bahnstrom- und die Drehstromgeneratoren ihren Antrieb aus einer Kraftquelle.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das Grosskraftwerk zur militärischen Gefahrenzone. Fritz Marguerre entwickelte ein bombensicheres Kraftwerk; 1940 nahm „Werk Fritz“ den Betrieb auf. Eine 32 Megawatt-Anlage wurde in einem 16 Meter tiefen Bunker versenkt. Dort stand die Kraftmaschine in Bereitschaft und kam immer dann zum Einsatz, wenn Luftangriffe drohten.

Über die Hochdruckanlage veröffentlichte der Wissenschaftler Marguerre für die Fachwelt über 40 Aufsätze, teilweise gemeinsam mit Dr. Wilhelm Töller, auf dessen Forschungen der Bau einer Entsalzungsanlage am GKM zurückgeht. Gemeinsam haben die beiden Unermüdlichen die Kraftwerkstechnik derart vorangetrieben, dass sich andere Werke an ihnen ein Beispiel nahmen. 1952 ging Prof. Fritz Marguerre in den Ruhestand, im gleichen Jahr erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Der große Mannheimer Ingenieur und Visionär starb 1964.