Die Mannheimer Schule

Eine Einführung mit ausgewählten Musikstücken

Die musikgeschichtliche Bedeutung der Mannheimer Schule steht seit der sensationellen Wiederentdeckung durch Hugo Riemann um 1900 außer Zweifel. Die Einführung der fließenden Dynamik, entscheidende Neuerungen im formalen Aufbau der Sinfonie, die Schaffung einer modernen Orchesterdisziplin, die Verwendung neuer Klangfarben und Instrumente im Orchester - das alles sind wichtige Charakteristika einer Stilrichtung, die, wie die gleichzeitige Berliner und Wiener Schule, üblicherweise zwischen Barock und Klassik eingeordnet wird.

Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass von einer klaren Abgrenzung kaum die Rede sein kann. Die Mannheimer Schule erweist sich als weitverzweigtes Gebilde mit Verästelungen in verschiedene Richtungen, der Begriff erscheint verschwommen.

Im allgemeinen ist man geneigt, die Mannheimer Regierungsjahre des Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz (1743-1778) als zeitlichen Rahmen anzusehen. Doch bereits sein Vorgänger Carl Philipp (1716-1742) besaß ein bedeutendes Orchester, schon unter ihm wurde Johann Stamitz, der "Vater" der Mannheimer Schule, eingestellt. Carl Philipp brachte in seine Mannheimer Residenz Musiker aus den Hofkapellen von Innsbruck und Düsseldorf mit, unter denen Meister wie Grua, Finger und Wilderer herausragen und als Vorläufer der "eigentlichen" Mannheimer gelten können. Das Orchester, dem Johann Stamitz seit 1748 als Direktor der Instrumentalmusik vorstand und das unter ihm und seinen Nachfolgern europäischen Ruhm erlangte, setzte sich zum Teil aus Mitgliedern zusammen, deren Familien über zwei oder gar drei Generationen als Musiker in kurfürstlichen Diensten standen: Man denke etwa an Namen wie Cannabich, Stamitz, Fränzl, Danzi u. a. Es bildeten sich Lehrer-Schüler-Beziehungen, Überlieferungen wurden weitergegeben und umgeformt. Der Mannheimer Stil verflachte (1777 spricht Leopold Mozart vom "vermanierierten Mannheimer goût"), ging in der Klassik auf und leitete schließlich mit Komponisten wie Franz Danzi und Peter von Winter über zur Romantik und zum Biedermeier. Vollzog sich dieses Geschehen natürlicherweise im Zuge der Generationenablösung, so gab es auch Gestalten, die mehrere Entwicklungsphasen überdauerten, wie zum Beispiel Franz Xaver Richter (1709-1789), der in seinem Schaffen lebenslang barocker Kontrapunktik verpflichtet blieb, oder Georg Joseph Vogler (1749-1814), der zwar die Blütezeit der Mannheimer Schule repräsentiert, dessen fortschrittliche Harmonik, Rhythmik und Instrumentation gleichwohl nicht ohne Einfluß auf die beginnende Romantik waren (C. M. von Weber und G. Meyerbeer waren Voglers Schüler).

Zahlreiche Komponisten, die Mannheim nahestanden oder sich zeitweise in der Stadt aufhielten, bilden das Umfeld, das sich vom Kern nur schwer trennen läßt. Hinzu kommt, dass die Mannheimer Schule sich in München fortsetzte, nachdem Carl Theodor 1778 durch Erbfolge Kurfürst von Bayern geworden war und aus politischen Gründen seine Residenz dorthin verlegen mußte. Schon Christian Friedrich Daniel Schubart spricht 1784 in diesem Zusammenhang von einer "pfalzbayerschen Schule". Hier anhand von biographischen Daten oder Stilmerkmalen gültige Feststellungen darüber treffen zu wollen, wer nun als "Mannheimer" einzustufen ist, wäre verfehlt. Auch die einschlägige Literatur ist in dieser Frage eher verwirrend als hilfreich. Revisionen aufgrund neuer Forschungsergebnisse werden sich stets als notwendig erweisen. (Brigitte Höft)

Ausgewählte Musikstücke

Kurpfälzisches Kammerorchester
Leitung: Stefan Fraas

Musiker: Gunhild Ott (Flöte), Karl Schlechta (Klarinette), Xiao-Ming Han (Horn), Jürgen Gode (Fagott), Wolfgang Schwarzmüller (Violine)

Christian Cannabich (1731 - 1799) Sinfonia D-Dur - Nin tanto presto - 4'25'' 
Carl Stamitz (1745 - 1801) Johann Joseph Beer (1744 - 1812) Konzert Nr. 6 Es-Dur für Klarinette und Orchester - Sicilliano - 3'53'' 
Franz Danzi (1763 - 1826) Sinfonia concertante B-Dur für Flöte, Klarinette und Orchester op. 47 - Polonaise - 6'32'' 
Matthäus (Frédéric) Blasius (1758 - 1829) Konzert Nr. 1 C-Dur für Klarinette und Orchester - Adagio - 5'34'' 
Franz Tausch (1762 - 1817) Konzert Es-Dur für Klarinette und Orchester - Rondo - 4'58'' 
Peter von Winter (1754 - 1825) Sinfonia concertante Es-Dur für Violine, Klarinette, Horn, Fagott und Orchester - Allegro moderato - 8'56'' 

© Dr. Hans Oskar Koch

Audio

  • Blasius
    blasius.mp3 (5.11 MB)
  • Cannabich
    cannabich.mp3 (4.05 MB)
  • Danzi
    danzi.mp3 (5.96 MB)
  • Stamitz
    stamitz.mp3 (3.57 MB)
  • Tausch
    tausch.mp3 (4.55 MB)
  • Winter
    winter.mp3 (8.19 MB)