Ansprache des Oberbürgermeisters

Rede des Oberbürgermeisters bei der Enthüllung der Gedenk­skulptur für die Mannheimer jüdischen Opfer des Nationalsozialis­mus am Dienstag, 25. November 2003, um 14.30 Uhr

Diese Gedenkstätte ist sichtbares Zeichen für unseren erklärten Willen, die Verbrechen nicht zu vergessen, die an der jüdischen Bevölkerung unserer Stadt durch die Nationalsozialisten und ihre Helfershelfer begangen wurden und sie ist das Ergebnis des Engagements vieler Bürgerinnen und Bürger. Ich danke Ihnen, verehrte Anwesende, für die Teilnahme an der heutigen Enthüllung.

Im Jahr 1997 hatten sich Hinterbliebene der Mannheimer Holocaust-Opfer bei der Stadtverwaltung mit einer Unterschriftenliste für die Errichtung einer Gedenkstätte eingesetzt. Zur selben Zeit sprach sich der Gemeinderat dafür aus, die von einem „Spurensucheprojekt“ der städtischen Jugendförderung von jungen Menschen aus unserer Stadt ermittelten Namen der jüdischen Opfer öffentlich zu dokumentieren.

Ein Arbeitskreis, dem neben Vertretern der Verwaltung sachkundige Bürgerinnen und Bürger angehörten, entwickelte schließlich das Konzept einer Gedenkarchitektur. Diese inhaltliche Konzeption hatte auch Auswirkungen auf die Wahl des Standorts. Nach Prüfung mehrerer Alternativen und Ortsbegehungen schlug der Arbeitskreis einen Platz im pulsierenden Herzen der Stadt vor: nahe dem Paradeplatz, dem Mittelpunkt der Innenstadt, die einst durch Geschäfte, Praxen, Kanzleien und Wohnungen jüdischer Familien geprägt war. Mit seinem einmütigen Beschluss vom Mai 2001 folgte der Gemeinderat den Empfehlungen des Arbeitskreises und lobte einen künstlerischen Wettbewerb aus: Nur so war es möglich, den gesetzten Ansprüchen entsprechende künstlerisch hochwertige Entwürfe zu bekommen.

Die eingegangenen Entwürfe gaben ganz unterschiedliche Antworten auf die gestellte Aufgabe. Eine Fachjury erkannte schließlich nach intensiver Prüfung und Beratung der Idee von Jochen Kitzbihler den 1. Preis zu. Im April 2002 beschloss dann der Gemeinderat, den transparenten Glaskubus mit den auf den Seiten spiegelverkehrt eingravierten Namen der Opfer zu realisieren. Nach Ausräumung der technischen Probleme, die die Erstellung eines solch hochwertigen Objekts mit sich bringt, steht jetzt das Ergebnis vor uns. Der leere Raum macht deutlich, dass Menschen, die zu unserer Stadt gehörten, die Teil der Stadt waren, aus ihr herausgerissen, vertrieben, gepeinigt und viele von ihnen ermordet wurden. Das Lesen der spiegelschriftlichen Namen erfordert Anstrengung, wie das Gedenken an die Opfer ohne Anstrengung nicht zu haben ist – und doch werden die Schatten der Namenszüge in der Gegenwart präsent, auf dem Boden lesbar, wenn Licht durch die Glaswände fällt. Im Dunkeln bildet der Kubus ein Leuchtzeichen, das an die einstige Blüte jüdischen Lebens und jüdischer Kultur in unserer Stadt erinnern kann.

Seit der Stadtgründung ist die Geschichte Mannheims untrennbar verbunden mit der ihrer jüdischen Gemeinde. Jüdische Handelsleute sorgten im 17. Jahrhundert für Verbindungen der jungen Stadt zu den internationalen Wirtschaftsmetropolen Mitteleuropas. Beim Aufstieg Mannheims zur Handels- und Industriestadt im 19. Jahrhundert waren jüdische Bankhäuser wie Ladenburg und Hohenemser führend beteiligt. Juden betätigten sich erfolgreich in Handel, Schifffahrt und Industrie. Vertreter der Familie Lenel stellten über drei Generationen die Präsidenten der Handelskammer. Die jüdische Bürgerschaft hat bedeutende Stiftungen für soziale und kulturelle Zwecke geschaffen. Erinnert sei hier nur an die Stiftungen des Stadtrats und Tabakhändlers Bernhard Herschel für ein Hallenbad oder des Kaufmann-Ehepaars Henriette und Julius Aberle für die Kunsthalle.

Der Einsatz der Juden für staatsbürgerliche Gleichstellung im 19. Jahrhundert war eng verbunden mit dem Kampf des Bürgertums um politische Beteiligung und Demokratie. So überrascht es nicht, dass bereits vor dem Ersten Weltkrieg führende Politiker der Liberalen und der Sozialdemokraten jüdischer Herkunft waren. Erinnert sei an den Reichstagsabgeordneten Dr. Ludwig Frank. Am Ende der Weimarer Republik waren die Fraktionsvorsitzenden der beiden liberalen Parteien und der SPD im Bürgerausschuss sowie die maßgeblichen Vertreter des politischen Journalismus von der „Neuen Badischen Landeszeitung“ über die „Volksstimme“ bis zur kommunistischen „Arbeiter-Zeitung“ Juden – und das war nicht, wie die nationalsozialistische Hetze unterstellte, Ergebnis einer jüdischen Verschwörung, sondern Beweis ihrer Kompetenzen und Zeichen ihres besonderen bürgerschaftlichen Engagements.

Dieses kommt auch zum Ausdruck in der starken Repräsentanz bei Volksbildungsbestrebungen. Erinnert sei hier nur an die von einem jüdischen Bankier gestiftete, anfangs von Bertha Hirsch geleitete Bernhard-Kahn-Bücherei in der Neckarstadt, die unter dem NS-Regime umbenannt wurde, nachdem wesentliche Teile ihrer Bestände der Bücherverbrennung im Mai 1933 zum Opfer gefallen waren. Erwähnt sei auch der langjährige Leiter der Volkshochschule, Paul Eppstein, der 1933 sofort aus dem Amt entfernt wurde und den die SS schließlich in Theresienstadt ermordete.

Bedeutend war auch der Beitrag jüdischer Menschen zum Kulturleben, sei es in Theater, Musik, bildender Kunst oder Literatur. Stellvertretend seien genannt: Joseph Rosenstock, der Generalmusikdirektor des Nationaltheaters, er wurde 1933 entlassen und ebenso zur Emigration gezwungen wie der Eigentümer des „Kunsthauses“ Herbert Tannenbaum, der bedeutende zeitgenössische Kunstwerke an die Kunsthalle, aber auch an zahlreiche Mannheimer Sammler, vermittelt hatte.

Schließlich sei noch erinnert an die vielen jüdischen Rechtsanwälte und Richter, die Ärzte, Lehrer und in sozialen Berufen Tätigen. Viele von ihnen konnten ihr Leben vor den Naziverfolgern retten, rechtzeitig emigrieren oder gerade noch entkommen. Von den 7.000 Juden, die 1933 in Mannheim lebten, haben durch die Verfolgung der Nationalsozialisten mehr als 2.000 ihr Leben verloren, sind in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet worden. Erinnert sei an den Landgerichtspräsident Heinrich Wetzlar, den beliebten Kinderarzt Julius Strauß, den Professor an der Handelshochschule Otto Selz, an die Krankenschwestern Pauline Maier und Emma Bendix oder die Gründerin des Fröbelseminars Rosa Grünbaum und ihre Schwester Viktoria.

Die Namen der mehr als 2.000 jüdischen Bürger, die dem rassistischen Völkermord zum Opfer fielen, sind auf den Glaswänden des Kubus verzeichnet und damit wenigstens symbolisch wieder an den Ort ihres Lebens zurückgebracht, mitten in die Stadt, die einst ihre Heimat war. Damit ist ein neues, unübersehbares Zeichen unseres Willens zum Gedenken gesetzt.

Junge Menschen haben sich in den letzten Jahren in engagierter Weise mit dem Schicksal der Mannheimer Juden befasst. Neben der bereits genannten „Spurensuche“ sei stellvertretend für viele andere Aktivitäten das deutsch-französische Schülerprojekt „Vier Mannheimer Kinder von Izieu“ genannt, dessen Ergebnisse jüngst in einer Ausstellung im Jüdischen Gemeindezentrum zu sehen waren. Genannt sei weiter das Engagement von Schülern in Mannheim und Ludwigshafen, die sich als jeweilige Inhaber des Abraham-Pokals engagiert mit den Themen „Toleranz“ und „partnerschaftliches Miteinander“ der Religionen und Nationen beschäftigen.

Gedenken wäre eine leere Hülse, wenn es nicht begleitet würde von verantwortlichem Handeln. Hier stehen wir weiter vor großen Aufgaben, weil es nicht zu leugnen ist, dass wir uns immer wieder mit Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus auseinander setzen müssen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Einzelne oder Gruppen an den Rand gedrängt werden, weil dies schnellen und fragwürdigen Beifall beschert. Unsere Bekundungen, alles tun zu wollen, dass sich Ereignisse, wie wir sie heute beklagen, nie mehr geschehen können, werden unglaubwürdig, wenn wir solchen Entwicklungen nicht couragiert entgegentreten.

Diese Skulptur gibt dem Gedenken, dem Mahnen und der Erinnerungspflege einen unübersehbaren zentralen Ort und damit neuen Anstoß für eine menschliche, friedliche Zukunft. Von Ignatz Bubis stammen die Worte: „Wir sind es den Opfern der Shoa schuldig, ihrer nicht zu vergessen! Wer diese Opfer vergisst, tötet sie noch einmal!“ Die Stadt Mannheim will und kann sie nicht vergessen.

Wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen. Durch das In-Erinnerung-Rufen des einzelnen Menschen bekunden wir unseren Respekt vor den Opfern, unser Mitempfinden mit den Angehörigen und unsere Trauer.

Ich möchte dies noch einmal bekräftigen: Respekt vor den Opfern beweisen wir heute, wenn wir denen entschieden begegnen, die das unvorstellbare Leid heute bagatellisieren, oder gar versuchen, das Gedankengut, das solches Leid erzeugt hat, wieder aufleben zu lassen.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So steht es am Anfang unseres Grundgesetzes. Eine menschliche Gesellschaft ist ohne die Erfüllung dieser Forderung nicht möglich. Und dies gilt für alle Menschen.

Leid und Unmenschlichkeit, wo immer diese sich ereignen oder ereignet haben, kann nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Wir werden mit unserem Denken und Handeln nicht daran gemessen, was anderswo geschieht oder geschehen ist. Jeder steht in der Verantwortung seines eigenen Tuns.

Ich danke allen, die an der Errichtung dieser Gedenkstätte mitgewirkt haben. Sie ist auch Ausdruck dafür, dass unsere Stadt keine Epoche ihrer Geschichte verdrängt.