Eine Volksfeindin

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Dr. Stockmann hat herausgefunden, dass das Kurbad, das ihr selbst eine Anstellung und dem gesamten Städtchen wirtschaftlichen Aufschwung ermöglicht, keimverseuchtes und krankheitserregendes Wasser führt. Das Bad muss geschlossen werden, findet Dr. Stockmann, und findet auch die lokale Zeitung, die die Badeärztin schon als Heldin feiert. Bis klar wird, was eine Schließung und Sanierung an Kosten mit sich bringt. Dr. Stockmann glaubt fest, dass die Bewohner*innen der Stadt gemeinsam als Gesellschaft alles tun werden, um die geteilte Zukunft möglichst nachhaltig und zum Wohle aller zu gestalten – in diesem Falle also eine Zeitlang auf die hohen Einnahmen, die das Bad bisher generiert hat, zu verzichten und eine Sanierung zu tragen. Was sie aber übersieht, ist, dass ihre Lösungsansätze wiederum andere, nämlich wirtschaftliche Probleme nach sich ziehen.
Wie kaum ein anderer Text schafft es Ibsens Stück »Ein Volksfeind«, das im Jahr 1882 geschrieben wurde, aufzuzeichnen, wie komplex die Frage von Moral, Gerechtigkeit und Handlungsfähigkeit in einer modernen Gesellschaft ist.
Dr. Stockmann und ihr Bruder, der Stadtrat, zeigen im Kleinen, wie schwierig uns radikale Transformationen zum nachhaltigen Wohle der Gemeinschaft heute im Großen fallen. Denn bereits bei der Frage, wodurch sich das »Wohl der Gemeinschaft« definiert – ökonomischer Gewinn oder die Gesundheit der Kurgäste und das eigene reine Gewissen – zeichnet sich ab, dass sich augenscheinlich gemeinsame Ziele schneller voneinander entzweien als man »Kompromiss« sagen kann. Visionär*innen mit idealistischen Ideen haben es schwer, vor allem in demokratischen Strukturen, denn Demokratie bedeutet in letzter Konsequenz, auszuhandeln und abzuwägen: zwischen Ökonomie und Ökologie, Nachhaltigkeit und Gewinn, Integrität und Umsetzbarkeit. Und Demokratie bedeutet auch, dass gewissen Entscheidungen von der Mehrheit getragen werden müssen und dass Dilemmata entstehen, wenn diese Mehrheit nicht mitgenommen wird auf die Reise komplexer Transformationsprozesse, die auf kurze Sicht unbequem erscheinen und auf lange Sicht die Zukunft eben jener Mehrheit retten.
Die Figuren der nicht näher benannten Vorstadtidylle ringen darum, was das Beste für ihr kleines Städtchen ist und verstricken sich dabei in eigenem Machstreben und der Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit.

Die Journalistin und Autorin Şeyda Kurt hat für die Inszenierung von Katrin Plötner am Nationaltheater Mannheim ausgewählte Texte der Hauptfigur neu interpretiert und leiht Dr. Stockmann in deren schleichendem Radikalisierungsprozess ihre messerscharfe Sprache.

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