Naturforscher Karl Friedrich Schimper etabliert Eiszeitlehre und Blattstellungstheorie

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    Insbesondere dem feinsinnigen Wissenschaftler zollt Willi Schäfer Anerkennung, in seinem 2003 erschienenen Buch „Karl Friedrich Schimper. Geschichte und Gedichte eines Naturforschers“

Mannheimer kommt Alpenbildung auf den Grund

Wir leben in einer Eiszeit, seit zweieinhalb Millionen Jahren. Gemeint ist damit diejenige erdgeschichtliche Periode, in der beide Pole vereist sind. Was wenige wissen: Die „Eiszeitlehre“ geht auf den Mannheimer Karl Friedrich Schimper zurück.

Und das ist nicht die einzige fundamentale und bahnbrechende Erkenntnis, die man dem 1803 in den Quadraten geborenen Naturforscher zuschreiben kann. Die Entstehung der Alpen hat Schimper ebenfalls als Erster richtig erklärt. Vor allem in der Botanik bewies der Sohn Mannheims einmalige Beobachtungsgabe und bestechende Kombinationsfähigkeit – mit seiner mathematisch fundierten Blattstellungslehre. Eines allerdings hat der eigensinnige Gelehrte sträflich vernachlässigt: seine fulminanten Erkenntnisse angemessen zu veröffentlichen. So blieb ihm die nachhaltige Anerkennung der Wissenschaft versagt. Noch schlimmer. Zeit seines Lebens plagten Karl Schimper schwere Geldnöte.
Karl Friedrich Schimper

Bereits sein Start ins Leben steht unter keinem guten Stern. 1803, als Karl zur Welt kommt, wird sein Vater, ein Landmesser, frühzeitig in den Ruhestand versetzt; gänzlich ohne Zuwendung. Er kann nun kaum seine Familie durchbringen. Die Ehe zerbricht. Karl lebt fortan mit seiner Mutter und dem um ein Jahr jüngeren Bruder Wilhelm Georg in großer Not. Freunde helfen, ermöglichen den Jungen sogar den Besuch des Mannheimer Lyzeums. Seinen Geburtstag, den 15. Februar, erzählt Hans Götz vom Verein Badische Heimat in Schwetzingen, hat Schimper sein Leben lang hochgehalten: „Er war immer stolz darauf, am selben Tag wie Galilei geboren zu sein.“ Allerdings machte Schimper in seiner akademischen Laufbahn erst einen Umweg über die Theologie, bevor er sich ganz der Naturwissenschaft verschrieb.

Schon früh vertieft sich der Junge in die Pflanzenwelt, durchstreift und erkundet mit seinem Bruder wissensdurstig die Wiesen und Wälder um Mannheim und Schwetzingen. 1825 reist er, während seines Theologie-Studiums, nach Südfrankreich und die Pyrenäen – und kehrt mit sage und schreibe 20.000 Pflanzen zurück. Die untersucht und bestimmt er auf das genaueste. In Heidelberg – er studiert nun Medizin – schließt Karl Freundschaft mit dem Zoologen Louis Agassiz und dem Botaniker Alexander Braun. Ihnen folgt er später nach München. Dort lernt und lehrt er mit Elan, widmet sich nun ganz und gar der Botanik und Geologie. Berühmte Persönlichkeiten wie der Naturphilosoph Friedrich Schelling besuchen seine Vorträge.

Die unermüdlichen Studien des Botanikers münden in einer originären Blattstellungstheorie; mit ihr begründet Schimper die moderne botanische Morphologie: Blätter ordnen sich am Stängel einer Pflanze regelmäßig. Für jeden erkennbar ist, dass sie bei der einen Pflanze auf gleicher Höhe hervortreten, bei anderen abwechselnd. Mathematisch messbar werden die Abstände dann, wenn man sich eine Spirallinie um den Stängel denkt. Schimper veranschaulicht seine bahnbrechende Theorie an Beinwurz, einer unscheinbaren Pflanze. Er verfasst eine Abhandlung darüber; zu Ehren seines väterlichen Freundes Johann Michael Zeyher nennt er sie Symphytum Zeyheri. Doch das ist mit das Einzige, was Schimper veröffentlicht. Seine Erkenntnisse gibt er in Vorträgen wieder oder hält sie auf fliegenden Zetteln fest – in Büchern dokumentiert er sie nicht. Dafür veröffentlicht Alexander Braun drei Vorträge Schimpers über die Blattstellung.
Alpen

1840 beauftragt ihn Kronprinz Maximilian von Bayern mit der geologischen Bestimmung der Alpen. Karl Schimpers Überlegungen führen zu einer epochalen Erkenntnis. Die Alpen sind nicht – wie damals angenommen – durch eine vulkanische Bewegung von unten her entstanden, sondern durch einen Horizontaldruck. Und der hat die schrumpfende Erde zu Falten aufgestaucht. Seine heute noch gültige Theorie wurde damals ganz und gar verdammt. Erst viele Jahre später heimste ein anderer, Eduard Suess, damit Ruhm und Ehre ein. Wieder hatte Friedrich Schimper seine fulminanten Erkenntnisse einfach nur auf einem Pappdeckel festgehalten.

Mit Inbrunst allerdings verarbeitet Karl Schimper sein naturwissenschaftliches Wissen auf stimmungsvolle, poetische Art und Weise. In seine Oden und Sonetten fließt aber auch Enttäuschung ein über die fehlende Anerkennung. So in der Ode „Gebirgsbildung“: „Das galileische Folter verübt an dem Sänger der Eiszeit, / oder mit Diebssinn ihn, Tiefes verflachend, bestahl, / während Aglastergeschwätz einer diebischen Elster die Menge / ehrlich und dumm und stumm beklatschend bestaunt.“ Mit der „diebischen Elster“ ist Louis Agassiz gemeint. Der hatte nämlich – als einer der wenigen – verstanden, welch fundamentale Erkenntnis Schimpers Eiszeitlehre, die Vorstellung vom „Weltsommer und Weltwinter“, darstellte. Agassiz verbreitet die Lehre mit so viel Nachdruck, dass bald er als Begründer gefeiert wird – und sich das gefallen lässt.

Als Karl Schimper 1843 nach Mannheim zurückkehrt, ist er fast mittellos. Eine Zuwendung von Großherzog Leopold hilft ihm über die Runden. Das aufrührerische Mannheim verlässt er 1849, lebt in Schwetzingen, zuletzt in einigen Räumen des Schlosses. Hier kümmert sich Sophie Wohlmann um ihn, eine Jugendfreundin. Tragisch war sein Tod: Auf dem Weg vom Schloss zur Wohnung Sophies wird er überfallen, verletzt und dadurch ans Bett gefesselt. Einige Monate später – im Dezember 1867 – stirbt der große Mannheimer Gelehrte.